In der Schweiz lebt in einem 18.034 qm großen Esskastanienwald ein 70jähriger Mann. Die Anfangsbuchstaben seines Namens sind A. S. Besucher meidet er. Jahrelang hat er mit niemandem gesprochen.

 

Seit 1951 arbeitet er daran, Informationen zu sammeln, auf Tafeln zu schreiben und diese enzyklopädisch geordnet in die Bäume seines Waldes zu hängen. So gibt es u. a. Gebiete mit Texten über Physik, Literatur, Medizin, Astrologie, Film und Theater, Chemie, Kochen, Architektur.

 

Die Texte sind mit einer Stricknadel und Ölfarbe auf Bleche aufgetragen. Die Tafeln haben entweder rechteckige, runde oder ovale Formen. Sie ergeben sich aus dem Zerschneiden von Konservenbüchsen. Arbeiten, die im letzten Jahr entstanden, sind mit der Maschine auf Papier oder mit Bleistift auf Pappe geschrieben. Sie beginnen bereits, sich aufzulösen. Ständig werden Informationen umgehangen und aktualisiert. Alkte Bleche verrosten, werden von Efeu überwuchert oder gestohlen. Aber es sind immer noch Tausende, die in den Bäumen hängen und lesbar sind.

 

Wiederholt kann man Tafeln finden mit der Aufforderung, sich an ihn zu wenden, Kontakt aufzunehmen über bestimmte Wissensgebiete, er stellt auch Aufgaben, die bearbeitet werden könnten, oder empfiehlt, aus seinen Büchern bei ihm abzuschreiben. Er gibt seine Telefonnummer an und die Stunde, zu der man anrufen soll. Die Nummer ist falsch. Wählt man die richtige, wo wird der Hörer abgenommen und Störgeräusche werden eingeschaltet. Unter der Klingel seines Hauses kann man lesen: „Funktioniert nicht. Unterbrochen.“

 

A. S. hat sich nie als Künstler gefühlt und weiß auch nicht, dass auf diesem Gebiet heute Dinge geschehen, die seiner Arbeit verwandt sind. Er sagt, dass er weiß, die Leute hielten ihn für einen Verrückten und lachten über ihn. Er beklagt sich nicht. Er war früher einmal Bankangestellter, später hatte er 3 Modegeschäfte gleichzeitig, arbeitete zuletzt im Ministerium in Bern, bis er vor 20 Jahren begann, seinen Wald zu verändern.

 

Es ist ein Steilhang. Teilweise fehlen Wege. Er stürzt. Am Kopf sind oft blutige Wunden. Der Körper ist geschützt durch lumpenartige Kleidung, die mit Stricken und Sicherheitsnadeln zusammengehalten ist. Er sagt: „Früher hatte ich 3 Badewannen, 2 Boiler, 2 Eisschränke … aber nichts braucht man … nicht mal das Klo.“ Ein anderes Mal sagt er: „Sie lesen anders als ich. Sie lesen zur Erregung des Geistes oder des Gefühls. Ich lese wegen der Ordnung.“

 

Ingeborg Lüscher 1972

IL279.1

 

Documentation about A. S.

(Version I), 1972

Dokumentation über A. S.

(Version I), 1972

 

Room installation

Photo panels with b/w photographs, taken in the forest of A. S.

10 units, each 70 x 64 x 2,3 cm

2 showcases with 169 b/w photographs (different dimensions)

Typewritten text (German, English, French)

 

Artist book

Ingeborg Lüscher, Dokumentation über A. S. „Der größte Vogel kann nicht fliegen“, Köln: Verlag M. DuMont Schauberg 1972, Reihe studio dumont

 

Exhibitions

Neue Galerie (documenta 5), Kassel 1972

Museo Casa Anatta, Ascona 1981 – 2013 (4 panels)

Centre Dürenmatt, Neuchâtel 2014 (10 panels)

Museo Casa Anatta, Ascona 2017, permanent installation (replicas of 4 panels)

 

For more information about exhibitions of the photographs see photography no 279

 

Catalogues

Kassel 1972 (ill, unpaged)

Wiesbaden 1993, pp 17-21 (ill), p 94

Solothurn 2016, pp 38-45 (ill)

Los Angeles 2018, pp 201-217

 

For more information about catalogues mentioning the photographs see photography no 279

 

Texts

Curiger 1972, p 21 (ill). Ohff 1972 (ill). Schaumann 1972. Schmid 1972, p 29 (ill). Schmidt 1972, p III. Widmer 1972. Marchese 1973. Weder 1973. Höllerer 1974, pp 31-38. Altmann 1978, pp 166 ff. Rattemeyer 1993, p 36. Lüscher/Resseler 1996, pp 106-109. Herzog 1999, pp 20-21 (ill). Graevenitz 2001, p 12, p 16. Herzog 2001, p 20, p 24. Müller 2016, p 156, p 163. Vögele 2016, p 16, p 30. Christoph-Bakargiev 2018, pp 201-217

 

See photography no 279